Lippische Rose

 Auswanderung Lippe-USA 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

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Auswandererführer Bauer Reineking

von Friedel Schütte

Den schätzungsweise 20.000 Lippern in der „Neuen Welt“ sind in den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts drei Gruppen als Kundschafter voraus gesegelt. Der wohl bedeutendste lippische Auswandererführer war Bauer Friedrich Wilhelm Reineking aus Langenholzhausen Nr. 62. Er führte 112 fromme Dörfer aus Langenholzhausen im Mai 1847 in den äußersten Norden des Staates Wisconsin. Nordwestlich von Milwaukee (Lake Michigan) gründeten sie die Urzelle der größten Ansiedlung von Lippern in den USA: „Neu Lippe“ mit dem Dorf „Hermann“ als Zentrum

Auswandererführer Bauer Reineking

Die lippische Auswanderer-Geschichte beginnt 1846. Damals gab es in Lippe eine große Missernte mit folgender, katastrophaler Teuerung. Hinzu kam verbreiteter Ärger im Volk über eine Änderung der reformierten Kirchenordnung: Der alte Heidelberger Katechismus sollte in den Gemeinden nicht mehr benutzt werden dürfen. Abendliche Erbauungsstunden während der Woche (so genannte „Versammlungen“) sowie kirchliche „Anti-Schnaps-Vereine“ nach dem Muster der benachbarten „Ravensberger Erweckungsbewegung“ hatte die Regierung in Detmold unter Strafe verboten – aus ihrer Sorge vor „demokratischer Zusammenrottung“ heraus, wie das damals hieß. Gründe, die viele Lipper veranlassten, sich auf den Weg nach Amerika zu machen. Im Winter 1846/47 verkauften Bauer Friedrich Wilhelm Reineking und seine mitreisenden Nachbarn ihre Höfe, Land und Hausrat, bauten sich stabile Seekoffer, füllten diese mit allem Notwendigen (Werkzeug wie Äxte, Beile, Sägen, dazu Bibel und Heidelberger Katechismus) und bestellten in Bremen für 24 Familien, 13 junge Männer und zwei unverheiratete Frauen Plätze auf dem Dreimaster „Agnes von Bremen“.

Am 4. Mai 1847 wurden in Bremen die Segel gesetzt. Ziel sollte New York, mit Weiterfahrt in die Prärie von Iowa sein. Das Schiff war total überladen. Der Jurist und Schriftsteller Jerome C. Arpke hat die Einzelheiten dieser höllischen Überfahrt 1895 in seinem Buch „Das Lippe-Detmolder Settlement in Wisconsin“ beschrieben: „Nahezu 400 Seelen waren auf engstem Raum zusammengepfercht. Die Leute lagen so dicht beieinander, dass sie sich nur gemeinsam auf Kommando zu der anderen Seite drehen konnten! ... Wie zu erwarten, gab es viele Kranke. 13 oder 14 Mitreisende starben, darunter auch drei unserer armen lippischen Auswanderer.

“Aus Furcht, mit seinem Schiff an die Kette gelegt zu werden, brachte der Kapitän seine völlig entkräfteten Passagiere nicht nach New York, sondern setzte sie bei Quebec in Kanada an Land. Von dort aus führte der Weg per Boot, Eisenbahn und zu Fuß weiter nach Sheboygan, einem damals kleinen Fischerdorf am Lake Michigan. Dort traf man endlich wieder Deutsche, die sich der völlig abgerissenen Lipper annahmen. Doch auch in diesem Hafen Lug und Trug: Ein Landagent riet den Langenholzhausern dringend ab, angesichts ihrer leeren Kassen nach Iowa zu trecken. Stattdessen gebe es in Sheboygan County riesige Wälder und fruchtbares Ackerland nahezu umsonst zu kaufen.

Reiseführer Reineking: „Wo wir Lipper hingehen, da gehen alle hin!“
Das ließen sich die meisten Lipper der Gruppe nicht zweimal sagen: Reineking rief zur Abstimmung. Die Mehrheit wollte nach Sheboygan ziehen. Ein nicht geringer Teil der Gruppe sprach sich dennoch für Iowa aus. Da stellte sich der Bauer Reineking auf einen Hügel, damit ihn alle sehen konnten, und gab auf Lipper Platt die Parole aus: „Niu Kinners, lustert mohl ens täu! Wo wi Lippers henngoht, do goh wi olle henn! Dorümme packet jibbe Klamotten un kuhmt met no Westen. Do wütt wi iuse nuiget Lippe bäuhen!“ So kam es denn auch. Um sicher zu gehen, kaufte Friedrich Reineking dem Agenten für die ganze Gruppe erst einmal 1.000 Acker (400 Hektar) Wald- und Weideland in der Wildnis von Sheboygan Falls ab. Wie sich bald herausstellen sollte, lag dieser „nahe“ Siedlungsplatz mehr als 50 Kilometer von der Town of Sheboygan entfernt im tiefsten Urwald. Dazwischen Bäche, Flüsse, Moore und kein einziger ausgebauter Weg. Mit Hilfe von zwei geliehenen Ochsengespannen transportierten die Lipper ihre Kisten und Koffer querfeldein durch das wilde Land. Bis nach Howard’s Grove, wo sie am 25. Juli 1847, elf Wochen nach ihrer Abreise von der Heimat, eintrafen. Auf einer Lichtung am Wasserfall ließen sie sich nieder und begannen unverzüglich, Dutzende mächtiger Tannen für den Bau solider Fachwerkhäuser nach gewohntem Langenholzhauser Modell zu fällen.

Die eigene Kirchengemeinde
Im Sommer 1848 gründeten die lippischen Siedler ihre reformierte „Immanuel-Kirchen-Gemeinde“. Mangels eines Gotteshauses machte man sich sonntags gelegentlich auf den weiten Fußweg nach Howard, wo dann und wann ein reformierter Wanderprediger aus der Schweiz das Evangelium auslegte. Ansonsten war gewöhnlich die Deele des Reinekingschen Fachwerkbaus Platz für Taufen, Trauungen und Trauerfeiern. Dort fand auch die erste Eheschließung in der lippischen Siedlung „Hermann“ statt, und zwar zwischen dem Kolonisten Friedrich Stock junior und Amalia Reineking, älteste Tochter des Auswandererführers Friedrich Reineking.
Bargeld war in dem „Lippe-Detmolder Settlement“ Mangelware. So gingen die Männer oft wochenlang nach Sheboygan, Milwaukee oder sogar bis Chicago, um dort als Maurer, Zimmerleute oder Hilfsarbeiter „Dollars zu machen“. Auch die Frauen suchten Verdienstmöglichkeiten, und wenn es als Wäscherin, Dienstmädchen oder Kinderbetreuerin bei den Reichen in Sheboygan und Newton war.

Neuland in Sicht
Bei ihren „Ausflügen“ in das Landesinnere entdeckten die Männer nördlich und westlich ihrer Siedlung „Hermann“ Gegenden, die ihnen für die Landwirtschaft geeigneter schienen. Und so zogen in den folgenden Jahrzehnten nicht wenige Familien nach Howard’s Grove, Green Bay oder bis nach Neu Ulm in Minnesota oder gar bis Nebraska und bildeten weitere „New Lippes“ sowie stets auch ihre eigenen reformierten Kirchengemeinden. Durch gemeinsam engagierte Prediger, Kreuz- und Querhochzeiten und die Sprache hielt man über Generationen eng Verbindung miteinander. Haupt-Bindeglied wurde schließlich das „Lippische Missionshaus“ in Howard’s Grove, das zur Ausbildung eigener Prediger und deutscher Lehrer entstand.

Der Patriarch aller Lipper in Wisconsin, Bauer Friedrich Reineking, kam im Jahre 1861 im Alter von 71 Jahren beim Fällen eines Baumes zu Tode. Gerade, als seine Männer den Kerb zu der Richtung geschlagen hatten, in die der Stamm fallen sollte, packte eine Gewitterböe die Krone und warf den Baum auf die Gegenseite, traf Reineking und erschlug ihn. So hat dieser legendäre „Führer der Lipper Mucker“, wie er in einem Bericht seiner Kritiker in Detmold bezeichnet wurde, die Einweihung des von ihm geplanten „Missionshauses“ im Jahre 1862 nicht mehr erleben können. Auch die Planung der ersten „Lippe-Kirche“, die den Namen „Reformed Immanuel Church“ erhielt, hatte in seinen Händen gelegen. „Er ist der wahre Vater aller Lipper in Wisconsin gewesen“, schrieb seine Urenkelin Ruth Reineking 1965 in die Familienchronik.

Früher Bauern, heute Bauern
Sowohl die Langenholzhausener Auswanderer als auch ihre Landsleute in den anderen US-Bundes-ländern wollten beruflich in der Mehrheit Bauer bzw. Farmer sein und wurden dies auch – bis in die heutige Generation. Dabei setzten sie in der neuen Heimat eine bewährte Tradition vielfach fort: Im klein strukturierten Langenholzhausen waren die Höfe so klein und die Böden oft derart arm, dass man selbst als Erbe einer Stätte einen „ordentlichen“ Beruf wie Maurer, Tischler, Ziegler, Zimmermann, Korb- oder Holzschuhmacher „zulernte“. Genau dies haben die Nachfolger des sagenhaften Auswandererführers und Lippischen Bauern Friedrich Reineking in „Neu Lippe“ fortgeführt. Was ihren Urenkeln auf den angestammten Höfen in Hermann, Rhine oder Greenwood heute hilft, dank handwerklichen Zuerwerbs auf ihren Betrieben von durchschnittlich 100 bis 300 Hektar trotz unzureichender Erlöse zurechtzukommen und ihre ererbten Farmen für die Familien zu erhalten.

http://www.rretc.com/familyhistory/lippe_detmold/

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