Lippische Rose

 Auswanderung Lippe-USA 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

Sternenbanner

Spät-Heimkehrer

Duesenberg Model J vor dem 1848er Geburtshaus seiner Schöpfer in Matorf
Könnte der Kontrast größer sein? Der 1929er Duesenberg Model J vor dem 1848er Geburtshaus seiner Schöpfer in Matorf

August und Friedrich Düsenberg
August und Friedrich Düsenberg, als sie schon lange Augie und Fred hießen: Die Brüder 1925 im Alter von 46 und 49 Jahren

Der Duesenberg. Hollywoodstars wie Clark Gable fuhren ihn.
Er ist so amerikanisch wie Coca-Cola. Doch seine Wurzeln liegen in Ostwestfalen.
Zum ersten Mal fuhr ein Duesenberg vor dem Geburtshaus seiner genialen Schöpfer vor.

Konradine Düsenberg hatte sich ihre Entscheidung gut überlegt. Die Heimat zu verlassen ist schließlich ein großer Schritt. Das galt im 19. Jahrhundert mehr noch als heute, denn wer sich damals entschloss, mit Sack und Pack in ein anderes Land oder gar auf einen anderen Kontinent zu gehen, für den gab es in aller Regel kein Zurück. Es war im Herbst 1884, als die verwitwete Bäuerin beim fürstlich lippischen Verwaltungsamt den Antrag stellte, mit ihren sechs Kindern nach Amerika auswandern zu dürfen. Was würde Sie wohl in der Neuen Welt erwarten? Das kleine Fürstentum Lippe jedenfalls schien Konradine Düsenberg nichts mehr bieten zu können. Lippe, das sich damals beinahe trotzig inmitten Preußens zu behaupten schien, gehörte mit seiner hohen Arbeitslosigkeit zu Menschen dem Teutoburger Wald scharenweise den Rücken kehrten, um jenseits des Atlantiks ihr Glück zu suchen.

Konradine Düsenbergs Auswanderungsgesuch
Konradine Düsenbergs Auswanderungsgesuch wurde im November 1884 amtlich bekannt gemacht

Als Konradines Ehemann Konrad Heinrich Ludwig 1881 verstarb, war sie mit ihren sieben Kindern allein auf dem Hof der Familie in Matorf, einem kleinen Ort in der Nähe von Lemgo, der mittlerweile mit dem Nachbardorf Kirchheide verschmolzen ist. Im November 1884 berichtete das Amtsblatt des Fürstentums von ihrem Auswanderungsgesuch. Von einer „Kolona Düsenberg" ist darin die Rede. Kolonus oder Kolona hießen im regional gebräuchlichen Amtsdeutsch Bauer und Bäuerin, die vor allem gepachtetes Land bewirtschafteten. Viel zu verlieren hatte Konradine Düsenberg, in ihrer deutschen Heimat also nicht. Und von dem, was sie erwartete, hatte sie zumindest eine Vorahnung: Schließlich war ihr 21-jähriger Sohn Heinrich bereits einige Monate zuvor alleine aufgebrochen und hatte für seine Familie die Lage ausgekundschaftet.
Im Frühjahr 1885 brachen die Düsenbergs schließlich auf. Mit dabei waren auch Konradines Kleinste: der achtjährige Friedrich sowie August, gerade fünf Jahre alt.
New York und Baltimore waren damals die großen Einwandererzentren an der Ostküste der USA. In einem von beiden muss die Mutter mit ihren sechs Kindern an Land gegangen sein. Nach allen Einwanderungsformalitäten folgte sie ihrem Sohn Heinrich in den Bundesstaat Iowa. Dort, im I Mittleren Westen, ließen sie sich in : Rockford nieder, einem kleinen Örtchen, in dem selbst heute kaum 1000 Menschen leben. Diese agrarisch geprägte Gegend mochte sich im ersten Moment kaum von den Landschaften des Fürstentums Lippe unterschieden haben, aus dem sie kamen.

Model J vor der Düsenberg'schen Remise in Matorf
Das Model J vor der Düsenberg'schen Remise in Matorf. Das Cabriolet von Murphy war die beliebteste Karosserievariante

Der Hof in Matorf ging im Lauf der Jahre in den Besitz anderer Familien über. Der Name Düsenberg geriet in Vergessenheit. Einzig die Inschrift über dem Eingangstor dieses typischen Kotten erinnerte an die Familie. Sie stammt aus dem Jahr 1848 und nennt Katharina Düsenberg, die bereits 1868, im Alter von immerhin schon 65 Jahren, in die USA gegangen war. Der Weg in die Vereinigten Staaten war offensichtlich geebnet, als Konradine aufbrach.
Während Düsenberg in Deutschland nie mehr als ein Nachname von sehr regionaler Verbreitung war (das deutsche Telefonbuch listet heute kaum 70 Düsenbergs), erlangte er in Amerika bald einen legendären Ruf. Das war das Verdienst von Friedrich und August, der jüngsten Söhnen Konradines. Die beiden, die sich in ihrer neuen Heimat Fred und Augie nannten (aus dem Ü in Nachnamen wurde schnell UE) bauten einige der erfolgreichsten Rennwagen Amerikas und schufen dann das Auto, das als bestes amerikanisches Automobil aller Zeiten Geschichte schreiben sollte: den Duesenberg Model J.

Angefangen hat alles mit Freds Fahrradbegeisterung: Erst wurde er zum ebenso begeisterten wie erfolgreichen Radrennfahrer, bevor er 1900 ein eigenes Fahrradgeschäft eröffnete.

Ob Friedrich oder Fred: Duesenberg verstand sich zunächst darauf, Autos schneller zu machen

Parallel zu diversen Fahrradunternehmungen, an denen sich bald auch Bruder Augie beteiligte, bildete sich Fred technisch weiter und baute schließlich sein erstes motorisiertes Fahrrad. Fred heuerte schließlich beim Autobauer Jeffery alsTestfahrer an. Dieser ersten Anstellung folgten verschiedene Stationen in der aufkeimenden Autobranche. Fred Duesenberg erwarb sich bald einen guten Ruf als Konstrukteur, der sich vor allem darauf verstand, die Autos anderer Marken schneller zu machen. Ab 1905 stand er schließlich in Diensten der neuen Mason Motor Car Company in Des Moines in Iowa, wohin ihm Bruder Augie bald folgte.

Duesenberg Model J1928
Als das Model J1928 in New York präsentiert wurde, stellte es alle anderen Autos aus amerikanischer Produktion in den Schatten

1913 schließlich gründeten die beiden in St. Raul im Bundessaat Minnesota die Due-senberg Motor Company. Zunächst baute die Firma Motoren im Kundenauftrag, die unter anderem in Rennbooten Verwendung fanden. Der Erste Weltkrieg brachte den Aufschwung: Duesenberg bekam Rüstungsaufträge, darunter einen zum Bau von Flugmotoren in Lizenz von Ettore Bugatti.

1921 schlug Duesenberg die europäische Konkurrenz beim Großen Preis von Frankreich

Das verdiente Geld investierten Fred und Augie in den Bau neuer Rennwagen, und so zeigte sich Duesenberg gut gerüstet, als in Friedenszeiten wieder gerannt wurde. 1921 schlug Jimmy Murphy im Duesenberg die europäische Konkurrenz und gewann mit dem Großen Preis von Frankreich in Le Mans das erste international bedeutende Rennen nach dem Krieg. Erfolge gab's auch bei den 500 Meilen von Indianapolis: Viermal gewannen Autos mit dem Namen Duesenberg das Indy 50Ö. So herausragend die sportlichen Erfolge, so schleppend verkaufte sich das erste Serienmodell Straight 8, rückblickend auch Model A genannt. Das Unternehmen, das inzwischen nach Indianapolis umgezogen war, geriet in finanzielle Schieflage. Jetzt trat Errett Lobban Cord auf den Plan: Der Geschäftsmann übernahm im Oktober 1926 die malade Firma, nicht ohne sich die Dienste von Fred und Augie für die Zukunft zu sichern. Endlich hatte Fred die nötigen Mittel, um sein Model J fertig zu konstruieren, einen großen Reihenachtzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen, der aus 6,7 Litern 265 SAE-PS schöpfte (bei späteren Modellen mit Kompressor waren es sogar 320 SAE-PS). Fred Duesenbergs Entwurf markierte damals die absolute Spitze des amerikanischen Automobilbaus. Das schlug sich auch im Preis nieder: 8500 Dollar kostete ein Model J ohne Karosserie. Der hohe Preis war einer der Gründe dafür, dass Duesenberg bald zum Synonym für das Auto der Schönen und Reichen wurde. Auch Hollywoodstars fuhren mit Vorliebe die Autos aus Indiana, darunter Clark Gable und Gary Cooper. Ein Duesenberg blieb exklusiv: Während Autos andernorts millionenfach von den Bändern plumpsten, entstanden in acht Jahren nur gut 600 Model J.
In Kirchheide-Matorf wusste man von alledem nichts. Dass Fred Duesenberg 1932 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam erfuhr man ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Duesenberg Motor Company 1937 angesichts neuer Finanznöte schließen musste. Erst im Zuge der wachsenden Oldti-merbegeisterung und dank umtriebiger Heimatforscher kam später Licht ins Dunkel der Duesenberg-Ursprünge. In den neunziger Jahren fand im örtlichen Gasthof sogar eineAusstellung rund um die autobauenden Brüder statt. Ein Duesenberg aus Blech und Stahl allerdings rollte noch nie durch Kirchheide-Matorf.
Im Spätsommer 2007 schließlich lässt der Klang eines Reihenachtzylinders einige der 1500 Einwohner vor ihre Häuser treten. Über den regennassen Asphalt fährt ein echtes Model J. Am Steuer des zweitürigen Cabriolets, dessen Aufbau von Murphy im kalifornischen Pasadena stammt, sitzt Jan Meijers. Der niederländische Unternehmer besitzt einen der guten Hand voll Duesenberg, die heute in Europa sind. Vor dem Haus in der Salzufler Straße 48 macht der Duesenberg Halt: Hier erblickten seine Schöpfer vor 128 respektive 131 Jahren das Licht der Welt. Heute gehört das Haus dem Architekten Ulrich Schumacher. Er hat das denkmalgeschützte Anwesen in den Neunzigern gekauft und das Haupthaus inzwischen liebevoll restauriert.

Hausinschrift Düsenberg in Matdorf
Zeitzeugen in Holz: Johann Heinrich und Katharina Düsenberg, die Großeltern der Autobauer, verewigten sich 1848 im Sturzbalken über dem Tor des kleinen Hauses im für die Region typischen Stil. Die Großmutter wanderte 1868 - inzwischen verwitwet - in die USA aus

Die Gegensätze zwischen diesem typisch deutschen Fachwerkhaus und dem unverkennbar amerikanischen Auto könnten größer kaum sein. In den USA sah man das mancherorts wohl anders: Der Spiegel berichtete im Jahr 1964 von einer Jahrmarktattraktion im Mittleren Westen der USA. Gegen Eintrittsgeld konnte dort „Kriegsbeute" besichtigt werden: „Hitlers Auto", ein Stück „typisch deutscher Werkmannsarbeit", wie der Schausteller versicherte. Bei dem Wagen handelte es sich aber nicht etwa um einen Mercedes, sondern um ein Duesenberg Model J, der nicht nur wegen seines unverhohlenen Imponiergehabes ausgewählt worden war, um die zahlenden Zuschauer zu verschaukeln: Der Name Duesenberg klang deutsch und die Qualität des Autos entsprach nicht dem, was Amerikaner von amerikanischen Autos erwarteten. Und der Name Duesenberg war knapp drei Jahrzehnte nach dem Ende der Marke scheinbar in Vergessenheit geraten - zumindest in ländlichen Gegenden der USA.

Text: Gregor Schulz
Fotos: Andreas Beyer, Archiv
g.schulz@oldtimer-markt.de

OLTIMER MARKT Ausgabe 1/2008, Seite 44-49.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Gregor Schulz

Home